Treffsicher: Visuelle Poesie 
á la Heinrich Schürmann
Pop Art op Platt
Mausklick, Mausklick, Mausklick. Eigentlich hatte ich ein typisches Künstleratelier erwartet, doch dann sitzen wir vor einem Allerwelts-Computer. Seine Arbeitsweise habe sich grundlegend geändert, erklärt Heinrich Schürmann, als er mir Beispiele seiner Arbeit vorstellt. Er komme von der Bildenden Kunst und habe auf der Werkkunstschule in Bielefeld noch ganz traditionell Bleisatz, Linoldruck, Kohlezeichnung und Aquarellmalerei gelernt. Dann jedoch sei er zum Computer umgeschwenkt, weil dieser ihm schier unendliche gestalterische Möglichkeiten eröffne, wie er sie mit den klassischen Techniken und Methoden nicht realisieren könne. Für die Umsetzung einer Idee brauche er jetzt nur noch einen Bruchteil an Zeit, und zudem könne er seine Entwürfe jederzeit wieder auf den Bildschirm zaubern, um sie weiter auszufeilen. Auf diesem Wege habe er vor ca. drei Jahren zur ,,Visuellen Poesie" gefunden und diese für sich als ein primäres Arbeitsfeld entdeckt. Berührungsängste mit der abstrakten Welt der Technik gibt es für den 57jährigen nicht. Er hat sich die Arbeit am Computer autididaktisch angeeignet und geht mit dem elektronischen Werkzeug nicht wie ein Informatiker, sondern eher wie ein spielendes Kind um. 
Ausgangspunkt für ein neues Opus kann ein Foto, eine Reproduktion oder auch ein eigenes Aquarell sein. Diese Vorlage wird per Scanner in ein computerlesbares Format umgewandelt und dann mit einem Grafik- oder Schriftprogramm weiterbearbeitet. 
Die so entstehenden Text/Bild Collagen werden immer wieder auf ihre Tragfähigkeit hin überprüft, verfremdet, neu entworfen und möglicherweise wieder gänzlich verworfen - und das alles in Sekundenschnelle. Endgültig zum Abschluß komme das (in einer speziellen Datei abgelegte Bild) eigentlich nie. Dieser Prozeßcharakter sei ein integraler Bestandteil der künstlerischen Arbeit und führe zu einem forwährenden "Dialog mit sich selbst". Das "vorläufige Endprodukt" wandert dann per Diskette direkt in die Druckerei. 
Auf eine Feststellung legt Heinrich Schürmann besonderen Wert: Was sich da auf dem Bildschirm abspielt, ist keinesfalls bloße Spielerei, die dem Zufallsprinzip gehorcht. Ohne solide handwerkilche Ausbildung, ohne ein spezielles Gespür für Komposition, Dynamik, Form und Stil bliebe sein Experimentieren nichts als Stückwerk. Die Montagetechnik erfordere harte Arbeit und höchste Disziplinierung: Manchmal stelle sich eine zündende Idee unmittelbar ein, ein anderes Mal wanderten 40 Stunden Arbeit direkt in den Papierkorb. 

Pop Art op Platt (Fortsetzung)
 
Seine Vorbilder fand Schürmann zunächst in der Malerei, wobei sein Vorliebe für das Abstrakte sofort deutlich wird. Immer schon haben ihn die Grenzgänger zwischen den Künsten (auch zur Fotografie und Musik hin) interessiert. Meister der Collagen fand er vor allem bei den Dadaisten, bei den Franzosen und insbesondere bei Picasso. 
Auf der Seite des Wortes wurde er vom manchmal absurden Sprachwitz Ernst Jandls beeinflußt. Auf die moderne Poesie sei er, wie er erklärt, erstmals in einem Seminar Winfried Pielows an der Münsterischen PH aufmerksam geworden. Seitdem habe sie ihn nicht mehr losgelassen. Die Aussageintention seiner eigenen Texte beschreibt er mit: Infragestellen des Konventionellen, Spiel mit Mehrdeutigkeiten, bewußtes Kalkulieren mit Mißverständnissen.
Schürmanns Texte lassen mehrdeurige (und vielschichtige) Interpretationen zu. Sie scheuen sich nicht, bis an die Grenzen der Provokation zu gehen.
 
Ein weiteres Anliegen ist offenkundig: Schürmanns Engagement für das Niederdeutsche. Wohl keine andere Sprache habe, so Schürmann, einen derartigen Niedergang erlebt, sie sei derart entwertet worden wie das Plattdeutsche, das heute noch immer in dem Rufe stehe, eine Sprache der armen Leute zu sein. Für ihn selbst sei das Niederdeutsche historisches Sprachgut und fest in der westfälischen Landschaft verankert. Von daher sei es für ihn eine adäquate Sprache geblieben, um seine Hauptthemen: 
Landschaft, Umwelt, seine unmittelbare Umgebung abzubilden. Im Kontext seiner Werke erscheint das Niederdeutsche - ähnlich wie bei seinen Vorbildern Georg Bühren und Siegfried Kessemeier - nichtsdestotrotz als Kunstsprache. Jede heimattümelnde Attitüde ist Schürmann fremd.  
In der niederdeutschen Szene hat sich der Name Heinrich Schürmanns inzwischen herumgesprochen. Mehrere Lesungen hat er gemeinsam mit Siegfried Kessemeier durchgeführt, zum Teil auch in der Kombination Jazz & Lyrik. Bei solchen Gelegenheiten zeigt er dann auch - via Tageslichtprojektor - Proben seiner Visuellen Poesie, mit der er in der westfälischen Literaturlandschaft weitgehend ein Einzelgänger ist. Zur Zeit bereitet Heinrich Schürmann eine Mappe mit »Sprachbildern« zur Publikation vor. 
Walter Gödden
in "Westfalenspiegel" Nr. 1/1998, 
47. Jahrgang, ISSN 0508-5942, 
ardey verlag, Bohlweg 22, 48147 Münster
 
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